Der folgende Bericht zur Referenzreise nach Dänemark wurde von unserem Projektmanager Michael Mut verfasst.
Tag 1: Die dänische Gesundheitsreform & Patientenflowsysteme
Das Programm unserer Reise startete heute in Kopenhagen mit der Präsentation einer Vertreterin von Healthcare Denmark, dem staatlich-privaten Vertreter des dänischen Gesundheitssystems.
Sie machte gleich zu Beginn deutlich, dass sowohl das dänische als auch das deutsche Gesundheitssystem mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind, beispielsweise im Hinblick auf eine alternde Bevölkerung, eine steigende Zahl von multimorbiden Menschen und einem Mangel an medizinischem Personal, vor allem im ländlichen Raum. Aufgrund dieser schwierigen Herausforderungen entschied Dänemark im Jahr 2007, das Gesundheitswesen neu zu organisieren.
So reduzierte das dänische „Superkrankenhaus-Programm“ die Zahl der öffentlichen Krankenhäuser auf nur noch 21 im gesamten Land. Das übergeordnete Ziel der Veränderungs- und Modernisierungsinitiative war es, einen universellen Zugang zu effizienten und modernen Gesundheitsdienstleistungen sicherzustellen. Dieses Ziel soll durch Dezentralisierung, Ambulantisierung und einer fortschreitenden Spezialisierung erreicht werden. Die Ergebnisse bestätigen den Erfolg des Vorhabens: die Anzahl der versorgten Betten reduzierte sich drastisch, die durchschnittliche Verweildauer sank und die Anzahl von ambulanten Behandlungen nahm signifikant zu. Alle diese Maßnahmen werden in einem starken Kooperations- und Koordinierungsgefüge zwischen der Regierung, den Regionen sowie den Kommunen verwirklicht.
Die Reform forderte auch die schrittweise Steigerung der Effizienz der klinischen Abläufe. Durch die Vernetzung von medizintechnologischen Anwendungen sowie dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, sollten die Krankenhäuser Möglichkeiten für Standardisierung, Harmonisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen ausloten.
Die Patientenflowsysteme waren hierbei ein entschiedenes Mittel. Diese Systeme ermöglichen die Steuerung von Patientenpfaden, die Vernetzung des beteiligten Personals und die Schaffung einer durchgängigen Prozesstransparenz. Inzwischen sind Patientenflowssteme in allen dänischen Krankenhäusern in Betrieb. Der Einsatz der Software führte zu einer umfassend gesteigerten Produktivität und Kapazitätsauslastung.
Laut den Plänen der dänischen Regierung wird der laufende Umstrukturierungsprozess weiter vorangetrieben. Konkret sollen neben den Superkrankenhäusern vermehrt lokal angesiedelte Versorgungszentren entstehen, die weniger komplexe Notfälle oder kleinere chirurgische Eingriffe übernehmen und somit die zentralen Strukturen entlasten.
Mit vielen spannenden Eindrücken geht es nun weiter nach Aarhus, wo wir morgen die Umsetzung dieser Vorhaben in der klinischen Realität des Uniklinikums vorgestellt bekommen.
Tag 2: Das digitale “Superkrankenhaus” in Aarhus
Zu Beginn unseres Besuchs im Universitätsklinikum Aarhus (AUH) erhielten wir Rahmeninformationen zum Standort: 854 Betten, 81 Operationssäle und über 10.000 Mitarbeitende auf 41 klinische Abteilungen verteilt. Im Jahr 2008 wurde mit der Einführung des Patientenflowsystems in den ersten Abteilungen begonnen. Inzwischen läuft diese in allen Bereichen des Klinikums auf über 600 Monitoren sowie über eine App-Anwendung auf den mobilen Endgeräten der Mitarbeitenden.
Der Mehrwert zeigt sich vor allem im verbesserten Informationsaustausch zwischen den Mitarbeitenden. Allein durch die Bereitstellung relevanter Informationen entfallen zahlreiche Telefonate, was Zeit für andere Tätigkeiten rund um die Patientenversorgung schafft. Des Weiteren führt die Koordination zwischen den Abteilungen zu einer verbesserten Entscheidungsfindung in der Ressourcenplanung. Auf übergeordneter Ebene können krankenhausspezifische Kennzahlen jederzeit einen Überblick über den aktuellen Stand der Arbeitsabläufe liefern.
Auf jeweils bis zu drei Monitoren sind an kritischen Standorten innerhalb des Krankenhauses Informationen über das Personal (tagesbezogene Besetzung, Kontaktdaten, Verantwortlichkeiten), den zu Behandelnden (Gesundheitsinformationen, Vitaldaten) und der Planung (Betten, OP-Pläne und Kapazitäten) klinikweit einzusehen. Darüber hinaus kann jeder Mitarbeitende patientenbezogene Aktivitäten in der Diagnose und Behandlung verfolgen und bei Bedarf mit anderen Beteiligten direkt in Kontakt treten. Die Übersichten werden hierbei von ausgebildeten Koordinationsverantwortlichen verwaltet und aktualisiert, die sich täglich operativ austauschen und auch als wichtiger Ansprechpartner der zentralen Bereiche dienen.
Im Rahmen des Austausches wurde weiterhin deutlich, dass die Installation weit über die Klinikgrenzen hinaus geht. Das System liefert wichtige Informationen über regional verfügbare Kapazitäten zu allen wichtigen Versorgungsbereichen, wie der Notfall- oder Intensivversorgung. Zwischen den regionalen Krankenhäusern besteht somit die Möglichkeit sich über Kapazitäten datenbasiert auszutauschen, was besonders in der Pandemie enorm an Bedeutung zunahm.
Zusammenfassend war es spannend zu erleben, wie sich die Software als zentrales Steuerungselement der klinischen Abläufe etabliert hat und für viele Mitarbeitenden auf Grund der Vorteile in der täglichen Arbeit nicht mehr wegzudenken ist.
Tag 3: Planung, Organisation und Datennutzung
Neben den Patientenflowsystemen gibt es in Dänemark zahlreiche etablierte digitale Anwendungsfälle, die in Deutschland seit Jahren Schwierigkeiten haben, eine wirkliche Marktdurchdringung zu erreichen. So diskutierten wir heute insbesondere Lösungen für das Sterilgutmanagement und die Operationsplanung. Vor allem der Sterilgutkreislauf ist in Deutschland bisher eher ein kaum beachteter und dennoch sehr kostenintensiver Bereich. Dennoch stützen sich viele Krankenhäuser weiterhin auf eher veraltete manuelle Routinen, um ihre Siebe und Instrumente zu verwalten. Das Ergebnis sind verlorene oder verlegte Bestände, zu viele unbenutzte Instrumente und lückenhafte Informationen zur Infektionskontrolle.
Eine effizientere Gestaltung der bestehenden Prozesse, rückte daher aufgrund vorherrschender Herausforderungen und des offensichtlichen Potentials schon vor langer Zeit in den Fokus der dänischen Krankenhäuser. Hierbei spielen unterstützende Softwarelösungen eine wichtige Rolle, um die Abstimmungen zwischen dem OP, den Funktionsbereichen und der Sterilisation zu verbessern. Auch bei der OP-Planung gibt es durch die Vielzahl an organisatorischen Schnittstellen vielfältige potenzielle Reibungspunkte, die Verzögerungen oder andere Abweichungen zur Folge haben können. Softwarebasierte OP-Planungen auf Basis einer künstlichen Intelligenz können eine genauere Planung sicherstellen. Hierbei werden verschiedene Parameter, wie beispielsweise das Alter, Gewicht, Vorerkrankungen oder die Tageszeit der Operation, berücksichtigt. Die Ergebnisse sind unter anderem eine höhere Ressourcenauslastung und weniger Überstunden für das Personal.
Durch die fortgeschrittene digitale Transformation der vergangenen Jahre verfügt Dänemark zudem über eine der umfangreichsten strukturierten Aufzeichnungen von Gesundheitsdaten der Bevölkerung. Diese bilden perspektivisch die Grundlage für spannende KI-basierende Ansätze, was einen möglichen nächsten Entwicklungsschritt für das dänische Gesundheitssystem darstellt.
Für uns erlaubte die Referenzreise einen wertvollen Austausch mit verschiedenen Stakeholdern des dänischen Gesundheitssystems, woraus sich Erkenntnisse für die fortschreitende Digitalisierung unserer Mitgliedshäuser ziehen lassen. Zugleich erhielten wir die Möglichkeit zu sehen, wie die digitale Transformation in vielen klinischen Bereichen praktisch funktionieren kann. Am Ende des Reiseberichtes möchten wir uns bei der Delegation aus unseren Mitgliedern für das aktive Engagement bedanken. Ein besonderer Dank geht darüber hinaus an unsere Gastgeber in Dänemark für die uns entgegengebrachte Gastfreundschaft und Professionalität.